Seelze – Auf dem Gehweg an der Hannoverschen Straße 4 erinnern seit kurzem 6 Stolpersteine an die Seelzer Familie Willner. Von 1927 bis 1937 betrieb die Familie dort ein Weißwarengeschäft, bevor sie in der Zeit des Nationalsozialismus aufgrund ihres jüdischen Glaubens ausgegrenzt und verfolgt wurde.
6 Stolpersteine
„Ich kann vergeben, aber ich kann nicht vergessen. Unmöglich. Ich kann es nicht.“ Mit diesen Worten von Ilse Grünewald, geborene Willner, eröffnete Bürgermeister Alexander Masthoff die Gedenkstunde im Rathaus Seelze. Masthoff betonte die Bedeutung der Erinnerung an das Leid, das der Familie widerfahren ist. „Mit dem heutigen Einbau der Stolpersteine setzen wir dem Vergessen sechs deutliche und bleibende Zeichen der Erinnerung, der Wertschätzung und des Mitgefühls entgegen“, so Masthoff vor den zahlreichen Gästen, darunter auch Raquel und Ricardo Grünewald aus Argentinien, der Sohn und die Schwiegertochter von Ilse Grünewald.
Ilse Willner, 1914 geboren, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Seelze. Nach ihrer Heirat mit Helmuth Grünewald im Jahr 1938 konnte sie noch nach Argentinien ausreisen, bevor ihr Vater Emil Willner und ihr jüngerer Bruder Berthold Willner nach der Reichspogromnacht von der Gestapo verhaftet wurden. Emil Willner, seine zweite Ehefrau Gertrud und seine Stieftochter Rosel Hauser gelang ein Jahr später die Flucht nach Australien. Die Söhne Erwin und Berthold Willner wurden jedoch deportiert und ermordet.
„Die Stolpersteine rufen uns ins Gedächtnis, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gemeinde Seelze durch ihre Mitmenschen auf Grundlage einer verbrecherischen Ideologie ausgegrenzt und verfolgt, inhaftiert und enteignet und zuletzt vertrieben und ermordet worden sind“, verdeutlichte Masthoff. Die Stolpersteine seien auch eine Mahnung, heutigen Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung entschieden entgegenzutreten.
Initiative des Seelzer Steinmetzmeisters Oliver Schneider
Der Einbau der Stolpersteine geht maßgeblich auf die Initiative des Seelzer Steinmetzmeisters Oliver Schneider zurück. „Mit ihrem persönlichen Einsatz, einem hohen zeitlichen Aufwand und großer Akribie haben Sie den Einbau der sechs Stolpersteine federführend vorangetrieben und diese als Pate sogar vollständig finanziert“, lobte Bürgermeister Masthoff das Engagement Schneiders. Einen bedeutenden Anteil am Gelingen des Vorhabens hatte auch der frühere Stadtarchivar Norbert Saul, der seit 1995 das Schicksal der Familie Willner recherchiert hatte.
Für Oliver Schneider war der Einbau der Stolpersteine, den er gemeinsam mit seiner achtjährigen Tochter Hedda ausführte, der Abschluss seiner langjährigen Bemühungen. Schneider hatte sich intensiv mit dem Schicksal der Familie Willner beschäftigt und 2018 angekündigt, sechs Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig zu spenden. Die Stadt Seelze unterstützte dieses Vorhaben als wichtiges Projekt der Erinnerungskultur.
Schneider stellte auch den Kontakt zu Ricardo Grünewald her und lud ihn und seine Ehefrau zum Einbau der Stolpersteine ein. „Daher war ich besonders froh, Raquel und Ricardo Grünewald in Seelze begrüßen zu können“, sagte Schneider.
Mehr als 100.000 Stolpersteine in 31 europäischen Staaten
Die sechs Stolpersteine für die Familie Willner reihen sich in über hunderttausend weitere Stolpersteine ein, die Gunter Demnig seit 1996 in 31 europäischen Staaten verlegt hat. Sie gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.
SCN/aw